Sehr intimer Einblick in einem Quasi-Tagebuch
Mein Wochenende war ziemlich unspektakulär, ich habe mit Jones stumpf gesoffen und dann zwei Tage alleine und still im Bett gelegen, mich gehasst und es zwischendurch sogar geschafft, Kaffee zu kochen.
"Mein Wochenende war super", sage ich also, "richtig was erlebt."
(...)
"Sie haben im Bett gelegen und die Tapete angestarrt, oder?"
Ich zögerte.
"Ja, schon", sage ich dann, "aber das war Raufaser. Das ist irre Action für die Augen."
Kennt ihr das, wenn ein Buch fast schon euer alltägliches Leben wiedergibt? Das hatte ich bisher nur richtig intensiv bei einem Buch und jetzt wohl anscheinend in kürzester Zeit das zweite gefunden. Natürlich deckt sich nicht alles, aber die ersten 100 Seiten sind fast alle durchgänging pink markiert bei mir. Und wenn es einfach nur Gedanken waren, die ich auch 'mal hatte und weiß, dass ich sie irgendwann wieder kriegen werde, weil ... man kann nicht immer "glücklich sein".
Wobei ich bei den letzten Worten am liebsten gleich zu dem Thema springen möchte, dass Tobi Katze erst gegen Ende des Buches anspricht: Depressionen zu haben bedeutet nicht gleich immer nur traurig zu sein.
"Also, wenn ich mal schlechte Laube hab - dann geh ich raus und mach was Schönes. Da geht's mir gleich viel besser. Oder ich denke an Katzenbabys. Das ist auch immer gut."
Verwundert starre ich meinen Vater an.
"Vater. Es ist nicht damit getan, aufzustehen und an was Schönes zu denken. So funktioniert das nicht bei mir."
"Aber wieso? Klappt bei mir doch auch."
(...)
"Hmm. Also mir hilft das."
"Aber bei mir nicht. Ich kann gar nicht aufstehen. Ich kann das manchmal sogar gar nicht wollen."
(...)
"Also", sage ich und atme ganz tief ein, bevor ich einen letzten Versuch starte.
"Stell dir einmal einen Rollstuhlfahrer vor, querschnittsgelähmt oder so was. Der kann auch nicht einfach aufstehen und rumlaufen, nur weil andere das können, oder?"
(...)
"Aber möchtest du dich wirklich mit einem Querschnittsgelähmten vergleichen? Ich meine, der hat ja was, also, was Richtiges. Der KANN wirklich nicht aufstehen."
"Und weil das bei mir vom Kopf kommt, ist das nichts richtiges?"
Er zeigt in seinem Buch sehr intensiv, humoristisch und lebensnah, was es bedeutet sich mit dieser Krankheit auseinanderzusetzen.
In mir wohnt ein betrunkener Stiefvater, der es nicht so meint und mich trotzdem schlägt.
Ich hatte bei dem Buch Bauchschmerzen, weil ich eben so vieles bei mir wiederentdeckt habe, aber auch, weil es eine drückende Stimmung hatte, das Buch - trotz der ganzen kleinen Witze zwischendurch. Und nebenbei musste ich gleichzeitig bei den Geschichten mitfühlen, wenn etwas unvorhergesehenes passiert ist. Der Autor hat einfach einen sehr intimen Einblick in sein Kopf und in seiner Gedankenwelt dem Leser gestattet.
Ich weiß gar nicht, was ich eigentlich genau sagen will über das Buch, weil ich das Gefühl habe, dass ich von jemanden das Tagebuch gelesen hätte. Was es auch irgendwie ist. Man verfolgt einen Menschen Stückweit in dessen Leben. Wie in einem sozialen Netzwerk, nur eben ... noch intimer.
Mit der Bewertung habe ich mich bislang schwer getan, denn es ist ja eben kein Roman oder eine Unterhaltungslektüre in dem Sinne, aber es ist halt eben doch auch eine "kleine Sammlung an Kurzgeschichten". Fünf Sterne empfinde ich als zu viel und nicht passend und daher sind es eben vier. Vier schöne Sterne für ein paar sehr schöne und bedrückende Lesestunden.